Demokratische Diskussionskultur verteidigen
Dezember 19th, 2019 by
Inakzeptabel, aber leider bittere Realität: Hate Speech ist in der Online-Kultur so präsent wie nie zuvor. Besonders problematisch ist hierbei die Strahlkraft und damit Signalwirkung, die aggressive und abwertende Aussagen gegenüber Angehörigen bestimmter Gruppen im Netz entwickeln. Auch im professionellen Kontexten haben Kommunikationsmitarbeiter*innen vermehrt mit den Folgen zu kämpfen. Umso mehr freuen wir uns, für diesen Ratgeber die Kompetenzen der demokratischen Zivilgesellschaft mit denen des Bundesverbandes der Kommunikatoren zu vereinen: Für eine bessere Debattenkultur online.
Immerhin acht Prozent aller Internetnutzer*innen geben an, bereits persönlich von Online-Hassrede betroffen gewesen zu sein. Zwei Drittel aller Befragten haben den Eindruck, Hate Speech habe in den letzten Jahren zugenommen. Die Hälfte der User*innen gab an, sich aus Angst vor Hass im Netz seltener zu ihrer politischen Meinung zu bekennen und allgemein weniger an Online-Diskussionen teilzunehmen. Das ergab eine repräsentative Studie des Jenaer Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Trägerschaft der Amadeu Antonio Stiftung. In der Studie wurden im Juni 2019 mehr als 7.000 Teilnehmenden im Alter zwischen 18 und 95 Jahren durch YouGov online befragt.
Diese Zahlen zeigen deutlich, wie toxische Diskussionskultur im Internet die Partizipation an unserem demokratischen System konkret beschränkt – besonders für Menschen mit Migrationshintergrund und junge Teilnehmer*innen, unter denen sich signifikant höhere Prozentsätze an von Hate Speech Betroffenen ergaben.
Das Problem erschöpft sich bei Weitem nicht in individuellen Drohungen und persönlichen Beleidigungen, sondern nimmt zunehmend einen systematischen Charakter an. Shitstorms werden immer häufiger gezielt in einschlägigen rechtsextremen Foren verabredet und geplant. Algorithmen von Social Media-Plattformen spülen extreme Inhalte verstärkt auf die Timelines ihrer User*innen und sorgen so für eine noch größere Sichtbarkeit von Hassrede.
Weiterhin wurde in den letzten Jahren eine Ausweitung der Zielgruppen beobachtet. Längst stehen nicht mehr nur marginalisierte Gruppen als klassischen Adressaten von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im Fokus von Hate Speech, sondern zunehmend markiert eine rechtsradikale Gegenöffentlichkeit im Netz etwa unter den Stichworten „Volksverräter“ und „Lügenpresse“ Politiker*innen und Journalist*innen und setzt sie dem Online-Hass aus. Auch Unternehmen, die sich online für demokratische Kultur und gegen Menschenfeindlichkeit starkmachen, werden angegriffen und beschimpft – genau wie jene Unternehmen, die 2015 deutlich Position bezogen und den ankommenden syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen die Integration mit Ausbildungsangeboten erleichterten.
Besonders häufig werden Akteure der demokratischen Zivilgesellschaft Opfer von organisierten Shitstorms der extremen Rechten. Daher sind Organisationen wie die Forschungsgruppe Modellprojekte (FGM) und die Amadeu Antonio Stiftung nicht nur mit der Entwicklung von Bildungs- und Präventionsangeboten im Digitalbereich beschäftigt, sondern haben notgedrungen ihren eigenen Umgang mit Shitstorms und Hate Speech in Kommentarspalten professionalisiert. Im bundesweiten Projekt „Hate Speech entgegentreten“ sind Erfahrung und Expert*innenwissen aus der Zivilgesellschaft an Unternehmen und Organisationen weitergetragen worden, die sich nicht primär mit Hassrede, Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus auseinandersetzen.
In Workshops mit Kommunikationsverantwortlichen wurde das Phänomen Hate Speech im Unternehmenskontext analysiert und Strategien zum Umgang damit entwickelt. Expert*innen vermittelten Hintergrundwissen und klärten über rechtliche Aspekte auf. Vor allem aber sollten reale Fallbeispiele und Fragestellungen aus der beruflichen und betrieblichen Praxis bearbeitet werden, wie sie vor allem der Forschungsgruppe Modellprojekte e. V. (FGM) in ihrer langjährigen Bildungsarbeit im betrieblichen Kontext immer wieder begegneten.
Der vorliegende Ratgeber verstetigt die Erkenntnisse dieser Arbeit und gibt Verantwortlichen in professionellen Kontexten Informationen und Handlungsempfehlungen. Dazu werden sowohl einführende Artikel, Fallbeispiele und konkrete Tipps zum praktischen Umgang mit Hassrede und Shitstorms verwendet.
Denn eines ist klar: Es gilt die demokratische Kultur zu verteidigen – sowohl online als auch offline. Wird sie systematisch angegriffen, erfordert das umfassende Antworten von allen engagierten Demokrat*innen. In Zeiten wie diesen gilt es, rechtsradikalen Angriffen auf die Demokratie Werte, Haltung und Verantwortung entgegenzusetzen. Organisationen und Unternehmen aus den verschiedensten Bereichen müssen deshalb klare Haltung beziehen – sowohl als Teil ihrer Corporate Social Responsibility und Corporate Citizenship als auch in ihrem betrieblichen und unternehmerischen Interesse. Hate Speech zu begegnen, ist für Unternehmen also sowohl eine Frage der Ethik als auch der Professionalität.
Wir bedanken uns beim Bundesverband der Kommunikatoren für die gute Zusammenarbeit im Rahmen des Projekts und der Hertie School und allen weiteren im Ratgeber vertretenen Unternehmen und Organisationen für ihre Beiträge.
Dr. Tessa Debus, Vorstand FGM e.V., und Timo Reinfrank, Geschäftsführer Amadeu Antonio Stiftung