Hate Speech entgegentreten

Ein Ratgeber für
Kommunikationsverantwortliche

Mut zu mehr Haltung: Counter Speech als Chance

Dezember 19th, 2019 by Viola Schmidt, Amadeu Antonio Stiftung

Wie hältst du’s mit der Moderation?” – Die Gretchenfrage für alle Social Media-Verantwortlichen ist nicht immer leicht zu beantworten. Hasskommentare, Fake News und Beleidigungen stellen Unternehmen und Organisationen in sozialen Netzwerken vor Herausforderungen. Auch wenn der Klick auf “Löschen” oft als die bequemere Variante erscheint, lohnt langfristig vor allem eine Strategie: Counter Speech.

Viele Unternehmen und Organisation sind in sozialen Netzwerken präsent. Wer Facebook und Co dabei jedoch nur als verlängerten Arm der konventionellen Pressearbeit versteht und die Plattformen primär zur One-Way-Kommunikation nutzt, kommuniziert an der Grundidee von Social Media vorbei und vergibt wertvolle Potenziale. Denn Unternehmen und Organisationen eröffnen mit ihrer Präsenz in Social Media einen Interaktionsraum – und dieser Raum will gepflegt werden. Counter Speech bietet dabei besondere Potenziale.

Was ist Counter Speech?

Counter Speech, zu deutsch Gegenrede, ist eine Reaktionsmöglichkeit auf Hatespeech. Der Grundgedanke: Menschenverachtende, abwertende Kommentare bleiben nicht unwidersprochen, sondern werden argumentativ und mit Haltung kommentiert, demontiert und entkräftet. Dabei werden die Strategien von Hatespeech offengelegt und die eigene Haltung transparent gemacht. Das klingt aufwendig – und das ist es auch. Doch der Aufwand lohnt sich.

Warum Counter Speech?

Die Aktivität von Unternehmen und Organisationen in sozialen Netzwerken ist eng gekoppelt an Fragen der Reputation: Für welche Werte stehen wir? Wie ist unser Kommunikationsstil? Welches Bild sollen Zielgruppen vor Augen haben, wenn sie an unsere Marke denken? Diese Fragen werden nicht nur im Content-Management beantwortet, mit den Inhalten, die wir über soziale Netzwerke kommunizieren. Sie werden vor allem im Community-Management beantwortet und genau hier setzt Counter Speech an.

User*innen möchten sich auf den Social Media-Seiten von Unternehmen und Organisationen gut aufgehoben und ernst genommen fühlen. Seitenbetreiber*innen, die moderieren und sich aktiv in Debatten einbringen, machen deutlich: Uns liegt etwas an der Diskussionskultur, unsere Community soll sich hier wohlfühlen. Counter Speech ist Wertschätzung gegenüber der eigenen Community.

Counter Speech vermittelt Haltung

Counter Speech basiert auf Haltung. Hatespeech zu widersprechen, setzt voraus, dass Unternehmen und Organisationen Antworten auf Fragen haben: Welche Werte und Gesellschaftsbilder vertreten wir? Für welche Kommunikationskultur wollen wir eintreten? Welche Community wollen wir in Social Media stärken? Counter Speech ist somit nicht nur ein Sprechen dagegen, sondern immer auch ein Sprechen dafür: Für demokratische Grundwerte, für die Gleichwertigkeit von Menschen, für eine positive Debattenkultur, für eine Community, in der niemand abgewertet und ausgegrenzt wird. Das schafft Sympathien und Vertrauen – die Bindung zwischen User*innen und dem Unternehmen bzw. der Organisation wird gestärkt.

Umgekehrt gilt: Wer abwertende Kommentare einfach ignoriert, setzt damit auch ein Zeichen. Man kann sich nicht nicht verhalten – was im Analogen gilt, gilt auch im Digitalen. Wer sexistische, antisemitische oder rassistische Kommentare in Social Media unwidersprochen lässt, gibt diesen Äußerungen eine Plattform. Und das hat Konsequenzen: Andere User*innen ziehen sich zurück, das Klima wird vergiftet, Hater*innen fühlen sich bestärkt, ihren Frust und Hass auf den eigenen Seiten abzuladen. Stilles Einverständnis normalisiert Diskriminierung und Ausgrenzung. Im schlimmsten Fall wird das Nicht-Reagieren als Zustimmung gewertet.

Wer menschenverachtenden Äußerungen mit Haltung entgegentritt, positioniert sich und macht die eigene Werteorientierung transparent. So kann ein authentischer Kommunikationsstil gelingen und Integrität vermittelt werden. Counter Speech schärft das eigene Kommunikationsprofil und ist damit ein positiver Faktor für das Reputationsmanagement.

Counter Speech stärkt die Community

Gegenrede richtet sich in den seltensten Fällen direkt an die Person, die den Kommentar verfasst hat. Counter Speech soll vor allem die stillen Mitlesenden erreichen und Betroffene stärken. Wer widerspricht, wenn andere abgewertet werden, signalisiert: Ihr seid nicht allein. Mit Counter Speech können zudem diejenigen unterstützt werden, die sich für eine konstruktive Debattenkultur einsetzen. Wer mit positivem Beispiel vorangeht, motiviert auch andere, aktiv zu werden und menschenverachtenden Kommentaren zu widersprechen. Gegenrede ist das beste Mittel, um die eigene Community zu bestärken und zu aktivieren.

Counter Speech stärkt die Mitarbeitenden 

Für demokratische Werte einzutreten und diese klar nach außen zu kommunizieren, kann auch positive Effekte nach Innen haben und die Verbundenheit der Mitarbeitenden mit dem Unternehmen, der Organisation stärken. Wenn eigene positive Gesellschaftsbilder spürbar mit den Werten des Arbeitgebers übereinstimmen, unterstützt das die emotionale Bindung. Das setzt voraus, dass sich Organisationen und Unternehmen – unabhängig von ihrem Tätigkeitsfeld – mit demokratischen Werten, Diskriminierung und Gesellschaftsentwürfen auseinandersetzen und eine eigene, glaubwürdige Haltung dazu entwickeln.

Counter Speech kostet – und lohnt sich

Wer es mit Counter Speech wirklich ernst meint, muss Ressourcen schaffen, personelle wie zeitliche. Dazu gehört auch, für Möglichkeiten zur emotionalen Entlastung zu sorgen. Personen, die in Unternehmen für die Moderation Sozialer Medien zuständig sind, müssen sich mit Hass, Beleidigungen und Drohungen auseinandersetzen – das kostet Kraft und kann emotional belastend sein. Social Media Verantwortliche brauchen Raum, um mit Belastung oder Frust umgehen zu können, zum Beispiel durch Supervision. Sie brauchen Fortbildungen und Schulungen, um Strategien der Moderation zu erproben und sich auf herausfordernde Situationen vorzubereiten.

Counter Speech ist eine von mehreren Moderationsstrategien. Sie als integraler Bestandteil des Community Managements zu begreifen, heißt nicht, auf jeden problematischen Kommentar mit Gegenrede zu reagieren. Es gibt gute Gründe, bestimmte Kommentare zu löschen, zum Beispiel weil man ihnen keine Plattform geben will (siehe Netiquette) oder sie strafrechtlich relevant sind (dann muss der Kommentar vor dem Löschen dokumentiert werden). Counter Speech muss immer abgewogen werden und ist auch eine Frage personeller und zeitlicher Kapazitäten. Diese zu investieren lohnt jedoch. Denn wer Hate Speech nicht unbeantwortet lässt und die eigene Werteorientierung transparent macht, schärft sein Profil und kann auch die Gretchenfrage nach der Moderation souverän beantworten.