Hate Speech entgegentreten

Ein Ratgeber für
Kommunikationsverantwortliche

Renate Künast: „Wer wütet und hetzt, muss zivilrechtliche Folgen spüren“

Dezember 19th, 2019 by Renate Künast MdB

Die grüne Bundestagsabgeordnete Renate Künast setzt sich im Bundestag und darüber hinaus gegen Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus ein. Als erfolgreiche Frau, mit klarer Haltung wird Sie zum Ziel konzertierte Hassattacken – besonders im Netz. Im Interview spricht sie über ihren ganz persönlichen Umgang mit Hassrede, warum sie sich nicht zum Schweigen bringen lässt und über die Verantwortung von Unternehmen.

 

Frau Künast, Sie haben am Berliner Landgericht einen Antrag gestellt, der es Facebook erlauben sollte, Ihnen die Daten von Menschen zur Verfügung zu stellen, die Sie auf übelste beleidigt hatten. Die drei Richter fanden aber, dass Bezeichnungen wie „Drecks Fotze“ zumutbar seien. Wie schätzen Sie das ein?

Dieser Beschluss ist die Spitze des Eisberges, weil es bereits vorher wiederholt Entscheidungen von Staatsanwaltschaften gab, die gezeigt haben, dass die entsprechenden Tatbestände sehr eng interpretiert werden und deswegen sehr oft keine Beleidigungsverfahren eröffnet werden. Schon das fand ich bisher für einen wehrhaften Rechtsstaat ziemlich kurios. Die Begründung des Landgerichts will anhand dieser Liste von Beleidigungen gegen mich erklären, was Politiker*innen offenbar auszuhalten haben. Menschen aus dem ganzen Land, aus ganz verschiedenen Berufen, Kolleginnen und Kollegen, Lehrer und Lehrerinnen haben sich entgeistert gezeigt und fragen mich, wie sie eigentlich noch normale Umgangsformen in den Schulen propagieren sollen, wenn Menschen, die sich engagieren und in der Politik tätig sind, sowas aushalten müssen. Wenn das nicht in der nächsten Instanz abgewiesen wird, sehe ich eine Gefahr für die Demokratie. Der Beschluss steht sinnbildlich dafür, wie weit die Verrohung mittlerweile geht. Wenn wir solche Begriffe akzeptieren müssen, dann frage ich mich, wie wir überhaupt noch miteinander reden sollen.

Haben solche gerichtliche Beschlüsse Strahlkraft in die Gesellschaft?

Einerseits ist es ein Beweis dafür, wie einige rechtsextreme Akteur*innen Lügen in die Welt setzen, Nachrichten und Zitate erfinden und eben beleidigen und einschüchtern. Es heißt vor allem, dass die Gesellschaft sich zusammenschließen muss. Das fängt bei rechtlichen Werkzeugen an, dazu gehört aber auch eine Stärkung der Zivilgesellschaft.

Wie hat sich die Debattenkultur im Internet in diese Richtung verändert?

Historisch hat es mit dem Erstarken von Pegida und der AfD angefangen. Es hat bei Demonstrationen eine massive Veränderung gegeben. Erinnern Sie sich nur an die Galgen für Politiker*innen, die bei Pegida mitgeführt wurden. Oder den Tag der deutschen Einheit in Dresden, als massiv gegen die Kanzlerin und den damaligen Bundespräsidenten Gauck gehetzt wurde. Da findet eine Verrohung und eine Überschreitung von Grenzen statt. Parallel dazu sieht man eine sehr schnelle und systematische Vernetzung im digitalen Raum. Das Internet wird heute eben nicht mehr nur für Diskussionen mit flachen Hierarchien benutzt, sondern es geht um Zersetzung von einzelnen, aber auch der Demokratie selbst. Menschen sollen eingeschüchtert werden, sie sollen Angst haben und sich nicht mehr engagieren, egal auf welcher Ebene. Das ist in dieser Massivität neu, auch im Vergleich zu allem, was es in den letzten Jahrzehnten im rechtsextremen Bereich gegeben hat.

Gibt es bestimmte Hasswellen die Sie erleben, Ereignisse auf denen enormer Hass folgt?

Im Herbst 2015, als Angela Merkel die Grenzen, aus Sorge um mögliche Gewalt in Ungarn, nicht zugemacht hat, gab es einen großen Schub. Damals wurde ja auch die Erzählung erfunden, dass die Grenzen geöffnet worden wären. In diesem Kontext gab es einen Schub für die AfD und ihr Netzwerk und seitdem werden nicht nur Geflüchtete verteufelt, sondern jede*r angegriffen, der oder die sich engagiert oder sich moderat zu diesen Themen äußert. Der nächste große Schub war die Silvesternacht 2015/16. In der folgenden Woche war ich bei „Hart aber Fair“; danach ging es bei mir persönlich los. Wenn man plötzlich 270 Hassposts bei Facebook hat, fragt man sich, was da los ist. Dabei waren zwei oder drei Nachrichten mit scharfer Kritik, aber der ganze Rest war einschlägiger Hass. Jedem, der sich engagiert oder der sich auch nur äußert, kann das passieren. Es gab einen Fall mit einem Geflüchteten als Täter, der dann von der Polizei erschossen wurde. Ich habe daraufhin auf Twitter gefragt, ob man ihn nicht hätte angriffsfunfähig schießen können. Daraufhin ist ein Sturm des Hasses über mich hinweggefegt. Damals ist mir aufgefallen, dass solche Hass-Wellen auch Auswirkungen auf Unbeteiligte haben. Denn das Framing, das in solchen Shitstorms vorgegeben wird, trifft unvorbereitet auf Unbeteiligte und kann einen ganzen Diskurs beeinflussen. Als wäre meine Frage eine, die man in einem Rechtsstaat nicht stellen dürfte oder gar muss.

Können Sie ausmachen wer diese Hater*innen sind? Sind das nur „besorgte Bürger*innen“?

Ich und mein Team haben damals richtig gemerkt, dass es organisierte Netzwerke gibt, die sich absprechen, wann und wie sie politische Gegner angreifen. Zu jener Zeit habe ich auch das erste Mal mit Kommentaren zu tun gehabt, die mit sexualisierter Gewalt drohten. Das reichte von hämischen Kommentaren zum Äußeren bis hin zu Vergewaltigungs-Fantasien. Ziel der Hater*innen ist es nicht nur die Leute politisch anzugreifen, sondern auch persönlich.

Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, sich von Ihren Social Media-Kanälen zurück zu ziehen?

Ich will mir nicht die offene Kommunikation nehmen lassen. Aber ich blocke Leute – mittlerweile sind es schon mehrere hundert – die beleidigen oder Hetze verbreiten. Ich will aber authentisch darüber berichten, was in den sozialen Medien passiert, will für die notwendige Gesetzgebung und Programme lernen und dafür muss ich das auch sehen. Mich abzumelden kommt also erstmal nicht in Frage.

Wie gehen Sie mit den Hass-Kommentaren um.

Wenn sich Leute komplett danebenbenehmen, ist die erste Frage, ob man Strafanzeige stellt. Eine weitere Möglichkeit sind zivilrechtliche Klagen, weil die bei der Prüfung früher eingreifen, als der Straftatbestand. Die Hater müssen die zivilrechtlichen Folgen ihres Handelns sehen. Mit „Hate Aid“ können wir das jetzt organisiert machen. Wenn mich jemand beleidigt, will ich mit der Person nicht reden und reagiere dementsprechend und blockiere sie meistens.

Wie gehen Sie und Ihr Team mit dem Hass um?

Exemplarisch machen wir öffentlich was da passiert. Das ist nötig, um öffentlich zu machen, was passiert. Diese Netzwerke verdienen sehr viel Geld und versuchen sich dennoch damit rauszureden, dass sie ihre Verantwortung nicht gesehen hätten. Man muss zeigen, welche Fälle es gibt und was stehen gelassen wird. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir vieles nicht erreicht hätten, wenn wir diesen Hass nicht öffentlich gemacht hätten. Dazu gehört die gesellschaftliche Debatte, die Entstehung von immer mehr Schwerpunktstaatsanwaltschaften und mehr. Gerade als Bundestagsabgeordnete mit einem Team im Rücken, sehe ich mich dafür verantwortlich. Ich befinde mich damit ja noch in einer komfortablen Situation. Mir geht es mir um die Menschen, die sich irgendwo im Land für die Demokratie engagieren, dafür angegriffen werden oder sich nicht mehr über die Straße trauen. Für deren Schutz engagiere ich mich.

Müssen sich Unternehmen positionieren?

Wer eine Seite betreibt, trägt auch die Verantwortung für die Umgangsformen und Inhalte auf dieser Seite. Unternehmen und deren Accounts haben Vorbildcharakter, indem sie Regeln des Umgangs miteinander festschreiben und dann auch einhalten. Ich wünsche mir, dass dieser Kampf nicht von Privatpersonen ausgetragen werden muss, sondern auch Facebook die eigenen Regeln prominenter und klarer macht: Wir wollen eine offene Debatte und keine Beleidigungen. Wir wollen nicht in eine Debatte gehen, in der das Gegenüber als erstes als hässlich beschimpft wird. Es muss – wie überall – klar sein, welche Regeln gelten, wenn ich einen bestimmten Raum betrete. Ein Unternehmen hat solche Regeln ja auch in der analogen Welt. Ein Unternehmen kann übrigens in Zeiten des Facharbeitermangels keine gute, qualifizierte, kreative, sozial ausgewogene Belegschaft finden, wenn es nicht den Umgang miteinander klar definiert. In einer Fabrik am Band beschimpfen sich die Leute ja auch nicht ständig gegenseitig. Fazit: Was in der analogen Welt gilt, gilt auch digital. Wir müssen hier wie dort für die Umsetzung sorgen – mit persönlichem Engagement und mit Strafverfahren.

Was ist von staatlicher Seite nötig, um die Debattenkultur im Netz zu verbessern?

Wir brauchen eine konsequente Rechtsdurchsetzung. Ich möchte, dass wir beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz, beim Telemediengesetz über die Meldepflichten sprechen, wir müssen sichergehen, dass die Staatsanwaltschaften und die Polizei personell ausreichend besetzt sind. Dass sie wissen, was passiert und worum es eigentlich geht. Wenn Leute in der digitalen Welt denken, dass sie ohne Konsequenzen zu befürchten, wüten und hetzen können, wie es ihnen passt, dann haben wir ein Problem. Der Kriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger der Hochschule der Polizei von Brandenburg spricht in Anlehnung an die Broken-Windows-Theorie vom „Broken Web“. Er sagt, dass wir im Netz eine zerbrochene Welt haben  werden, wenn wir am Anfang keine Maßnahmen ergreifen und Polizei und Sanktionen auf digitale Hetze nicht sichtbar sind. Das bezieht sich auf Rechtsextremismus, aber auch auf Cyber-Crime und sexuelle Belästigung im Netz. Es muss ein Entdeckungsrisiko geben. Denn Frauen und Männer haben das Recht auf Teilhabe im digitalen Raum, das wird aber faktisch immer mehr verwehrt.