Hate Speech entgegentreten

Ein Ratgeber für
Kommunikationsverantwortliche

Hate Speech – worüber reden wir eigentlich?

Dezember 19th, 2019 by Kira Ayyadi und Stefan Lauer, Amadeu Antonio Stiftung

Rassistische Kommentare auf Facebook, Hetze auf Twitter oder ein Shitstorm von organisierten Rechtsextremen: Hass im Netz zeigt sich in vielfältiger Art und Weise, ist allgegenwärtig und hat Folgen für die Betroffenen. Jeden Tag geraten auch Institutionen und Firmen ohne Grund ins Fadenkreuz von Internet-Trollen. Kommunikationsbeauftragte beschäftigen sich mit dem Thema aber oft erst, wenn sie schon von der Hate Speech-Lawine überrollt werden.

Was ist Hate Speech?

Das Phänomen Hate Speech ist schwer zu packen. Der Grund: Hate Speech konkret zu definieren oder zu katalogisieren, ist kaum möglich, denn Hate Speech ist immer kontextabhängig. Hassrede (Hate Speech) ist kein sprachwissenschaftlicher, sondern ein politischer Begriff mit mehr oder weniger starken Bezügen zu juristischen Tatbeständen. Eine einheitliche Definition dessen, was Hate Speech ist, gibt es demnach nicht. Unterschiedliche Organisationen haben den Begriff Hate Speech aus sprachwissenschaftlicher oder politischer Sicht genau definiert. Relevant ist dabei auch das Strafgesetzbuch. Der Paragraph 130 beschreibt den Tatbestand der Volksverhetzung. Der ist dann erfüllt, wenn jemand „in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, 1. zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder 2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet“ (StGB, §130(1)).

In einer Definition des Europarats heißt es: „Zu den Zwecken der Anwendung dieser Grundsätze umfasst der Begriff ‘Hassrede‘ jegliche Ausdrucksformen, welche Rassenhass, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus oder andere Formen von Hass, die auf Intoleranz gründen, propagieren, dazu anstiften, sie fördern oder rechtfertigen, einschließlich der Intoleranz, die sich in Form eines aggressiven Nationalismus und Ethnozentrismus, einer Diskriminierung und Feindseligkeit gegenüber Minderheiten, Einwanderern und der Einwanderung entstammenden Personen ausdrücken. “[1]

Beide Definitionen haben gemeinsam, dass sie von Gruppen sprechen, die Opfer von Angriffen werden. Bei Hate Speech geht es also um „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“. Darunter fallen zum Beispiel Antisemitismus, Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Homo-und Transfeindlichkeit sowie andere Formen des Hasses auf bestimmte Gruppen. Aber Hate Speech kann auch persönlich werden. Spätestens dann, wenn eine Einzelperson zur Projektionsfläche wird. Das kann eine einzelne Frau treffen, die sich öffentlich für Frauenrechte engagiert. Für Antifeminist*innen steht sie dann für „den Feminismus“. Eine Person mit Migrationsgeschichte in der Familie, die sich für eine liberale Migrationspolitik einsetzt steht für „die Ausländer“ oder eine jüdische Person, die Antisemitismus anprangert für „die Juden“.

Ist das noch Kritik oder schon Hassrede?

Da es eben keine einheitliche Definition des Begriffs gibt, ist es manchmal schwer, im Einzelfall zu entscheiden, ob es sich um Hate Speech handelt. Die Psychotherapeutin Dorothee Scholz hat zur Vereinfachung das „Rubikonmodell der Kommunikation“ entwickelt.

 

Haben wir es mit konstruktiver oder unkonstruktiver Kritik zu tun, lässt sich dies (noch) argumentativ bearbeiten, Fakten und Gespräche können noch etwas nützen.

Geht es darüber hinaus, haben wir es also mit Entwertungen, Cybermobbing oder Hate Speech zu tun, geht es nicht mehr um eine sachliche Auseinandersetzung. Ab hier steht der Hass des Kommentierenden im Vordergrund.

 

Geht es in der Kommunikation also um Entwertung, Cybermobbing oder Hate Speech, sind die Betroffenen, denen der Hass entgegenschlägt zwar Auslöser der Hasses, nicht jedoch Verursacher. Die Gründe der Hater*innen sind vielfältig und meistens persönlicher Natur. Andererseits heißt das auch: In diesen Stadien fruchten faktenbasierte Gegenreden nicht mehr. Wenn es nicht mehr um das Thema geht, sondern vor allem um das Beschimpfen, Abwerten und Hassen, prallen noch so gute Argumente oder Belege, dass der Hater Unrecht hat, an selbigem ab.

 

  • Konstruktive Kritik (funktional): sach- oder verhaltensbezogen, konkret, respektvoll, gewaltfreie Kommunikation, ggf. Verbesserungsvorschläge
  • Unkonstruktive Kritik (dysfunktional): sach- oder verhaltensbezogen, unkonkret, pauschal, oft respektlos, keine Verbesserungsvorschläge, „Meckern“
  • Entwertungen (bedrohlich): unsachlich, paternalistisch; gewalthaltige Kommunikation
  • (Cyber-)Mobbing (bedrohlich/toxisch): Individuum als Zielscheibe; Täter*innen und Betroffene miteinander bekannt; systematisch, regelmäßig, öffentlich; Stalking, Bedrohungen, ggf. körperliche Gewalt
  • Hate Speech (toxisch): Gruppenzugehörigkeit → Diskriminierung von Minderheiten; „Hass mit Abstand“, unpersönlich, massenhaft; Stalking, Doxing, (Mord-)Drohungen, „Shitstorms“; offen oder verdeckt

 

Was will der Hass?

Mittlerweile gibt es einige Thesen zur Psychologie des Hasses, was Täter*innen dazu veranlasst, Menschen im Internet herabzusetzten und zu beleidigen. Die Gründe sind vielfältig. Was sie damit bezwecken wollen, ist meistens jedoch offensichtlich. Sie wollen andere Menschen mundtot machen, denn Hassrede im Internet macht viele Menschen erst einmal sprachlos. Wir neigen zur Entschuldigung: „Das ist bestimmt nicht so gemeint“ oder „Da sind Emotionen durchgegangen“ . Doch für Betroffene solcher Angriffe sind die Folgen fatal, ihnen wird ein Aktionsraum genommen, schlimmstenfalls drohen ernste Erkrankungen. Zudem wird Hassrede von rechtsradikalen Akteur*innen politisch strategisch eingesetzt. Hetze gegen Gruppen von Menschen normalisiert Abwertung und Menschenfeindlichkeiten. Wir gewöhnen uns daran und nicht selten werden aus Worten auch Taten, von der Ausgrenzung bis zur Gewalt.

Der Hass ist dabei bei weitem nicht „nur“ das Problem von den jeweils Betroffenen. Das Londoner Institute for Strategic Dialogue hat in Zusammenarbeit mit der Aktivist*innen-Gruppe „#ichbinhier“ eine Studie zum Hass im Netz veröffentlicht. Die Forscher*innen konnten beweisen, dass nur 5.500 Social-Media-Accounts für 50 Prozent der Likes bei Hass in den Kommentarspalten verantwortlich sind. Studienmitautorin Julia Ebner ordnet diese Zahlen ein: „Es ist wichtig, dass weder Journalisten noch Politiker die öffentliche Wahrnehmung basierend auf Meinungen und Interaktionen in den sozialen Netzwerken deuten. Unsere Analysen verdeutlichen, dass nur wenige, in vielen Fällen rechtsextreme Individuen mittels der sozialen Netzwerke den Eindruck einer scheinbaren Mehrheitsmeinung generieren, die so gar nicht von der Bevölkerungsmehrheit getragen wird.”

Diese Mehrheitssimulation führt auch dazu, dass sich Menschen – und zwar nicht nur die direkt Angegriffenen – aus den sozialen Medien zurückziehen. Aus Angst, auch Ziel eines Angriffs zu werden, aber auch, weil sie sich selbst nicht mehr repräsentiert sehen. Auch deswegen ist eine klare Positionierung gegen Hass wichtig und ein Beitrag für eine bessere Debattenkultur.

Was haben Unternehmen oder Institutionen mit Hate Speech zu tun?

Auch Unternehmen und Organisationen sind direkt oder indirekt in der externen wie der internen Kommunikation von abwertender Hassrede betroffen. Erschwerend kommt für professionelle Kommunikatoren hinzu, dass sich das Phänomen oft in einer rechtlichen Grauzone abspielt und eine Dynamik entfaltet, die hohen Handlungsdruck erzeugt. Aber Unternehmen und Organisationen sind keineswegs machtlos. Sie können die Regeln der öffentlichen Diskussion beeinflussen und eine zivile Debattenkultur, Meinungsvielfalt und Diversität fördern. Das erfordert neben einer klaren Haltung transparente Regeln und Prozesse der Kommunikation – auch bei schwierigen Themen. Das Internet ist ein politischer Resonanzraum und deswegen sollen und dürfen wir ihn nicht einer kleinen, aber extrem lauten, menschenfeindlichen Minderheit überlassen.

 

 

[1]Empfehlung des Ministerkomitees des Europarats Nr. R (97) 20, vom 30. Oktober 1997: http://www.egmr.org/minkom/ch/rec1997-20.pdf