#Haltung: Wie die DAK-Gesundheit einen rechten Shitstorm pariert hat
Dezember 19th, 2019 by
Krankenkassenwerbung, ein rechter Shitstorm und die Reaktion der DAK-Gesundheit
Anfang 2018 hängt die Krankenkasse DAK-Gesundheit in 480 Städten auf 27.000 Werbeflächen Großplakate zum Thema Schwangerschaft auf: ein junges Paar mit Ultraschall-Bild neben dem Spruch „Auf einmal steht das Leben Kopf“. Der Mann ist schwarz – gesellschaftliche Realität. Doch in den sozialen Netzwerken löst diese harmlose Werbung am 29. Januar durch den Tweet „Werbung für was? Für das? …AUWEIA“ der Userin „M.“ aus Sachsen einen rechten Shitstorm aus. Rechtspopulist*innen und Rechtsradikale steigen mit Tweets wie „Werbung im Idiotenland“ oder „Kümmert euch lieber um Volksgesundheit“ ein. Auf Facebook schreibt die AfD Nordwestmecklenburg zum DAK-Plakat: „Flutung unseres Landes mit Migranten“. Die Krankenkasse wird im Netz massiv kritisiert. Plakate in Thüringen werden beschmiert und das schwarze Model als „Mörder“, „Vergewaltiger“, „Neger“ beschimpft. Der Shitstorm mit Tausenden Likes, Retweets und Posts ist Ausgangslage für die Initiative #Haltung der DAK.
#Haltung ist nicht geplant. Als die DAK-Gesundheit ihre Werbung zum Thema Schwangerschaft entwickelt, will sie einfach junge Familien ansprechen und gesellschaftliche Realität darstellen. Mit einem rechten Shitstorm rechnen zu diesem Zeitpunkt weder die Marketing-Abteilung noch die Pressestelle. Die heftigen Reaktionen in den sozialen Netzwerken sind eine große Herausforderung für eine gesetzliche Krankenversicherung. Wie reagiert eine Körperschaft öffentlichen Rechts auf Hass und rechte Hetze im Netz? Soll die Werbung fortgesetzt oder beendet werden? Was sagen 10.000 Mitarbeiter*innen und fast sechs Millionen Versicherte zur Debatte über Rassismus? Wie politisch darf PR sein? Wie positioniert sich der Vorstand? Wie reagieren andere Kassen, Politik und Medien?
Kommunikationsabteilung schaltet in Krisenmodus
Die Kommunikationsabteilung der DAK-Gesundheit muss blitzschnell in den „Krisenmodus“ schalten. Ein Umgang mit einem rechten Shitstorm in dieser Form ist Neuland für die gesamte Kasse. Dem PR-Team ist klar, dass jede Reaktion neue Gegenreaktionen auslösen kann – Ausgang offen. Die Krankenkasse steht im Fokus ihrer sechs Millionen Kund*innen, der Politik und der breiten Öffentlichkeit. Der Vorstand entscheidet klar: „Wir stehen zum Plakat!“ Doch wie transportieren wir diese Entscheidung auf Facebook und Twitter? Wer kümmert sich um das Gesicht der Werbekampagne? Brauchen wir Agenturunterstützung zur Krisenkommunikation? Wie kommunizieren wir ehrlich und authentisch? Wie politisch werden wir? Wie gehen wir mit Drohungen und Kündigungen um?
Mit der Kampagne #Haltung gegen Hass und Hetze verfolgen wir zwei Ziele:
- Umgang mit dem rechten Shitstorm ohne Reputationsschaden für die DAK-Gesundheit
- In der Rassismusdebatte zeigen wir #Haltung – vom Mitarbeiter und der Mitarbeiterin bis zum Vorstand
Leitlinien der Kampagne #Haltung: Authentisch. Einfach. Eigenständig.
Wie bei anderen PR-Kampagnen zu Gesundheitsthemen agieren die Kommunikationsexpert*innen der DAK-Gesundheit auch beim rechten Shitstorm eigenständig und ohne Agenturunterstützung. Da schnell klar ist, dass Hass und Hetze im Netz nicht abreißen werden, entsteht im Team spontan die Idee zur Kampagne #Haltung. Die Botschaft soll authentisch und einfach sein. Deshalb stellen sich acht Kolleg*innen spontan vor das umstrittene Plakat in der Hamburger Innenstadt und zeigen ihre Gesichter und damit #Haltung. Ein paar Minuten später wird das Motiv über Facebook und Twitter veröffentlicht. Dazu der Kommentar: „Ein junges Paar freut sich auf sein Baby – und wir werden für dieses Motiv kritisiert…. Wir sind eine Krankenkasse für alle Menschen… Zeigt auch ihr #haltung!“
In den ersten Stunden und Tagen beherrscht Social Media die Krisenkommunikation. Auf Facebook und Twitter gibt es Tausende positive und negative Reaktionen, die beobachtet, bewertet, kommentiert oder gelöscht werden. Vor allem die Tweets bekannter Rechtspopulist*innen und der Facebook-Post der AfD Nordwestmecklenburg befeuern den Shitstorm. Im Netz entwickelt sich nach dem #Haltung-Tweet der DAK schnell große Solidarität. Mitarbeiter*innen, Versicherte, andere Kassen, Parteien und bekannte Politiker*innen zeigen #Haltung. 90 Prozent aller Reaktionen auf sind positiv:
- Mitarbeiter*innen und Kund*innen der DAK zeigen sich solidarisch mit #Haltung. Beispiel-Tweet: „Beste Kasse! #DAK“
- Mitbewerber wie der AOK-Bundesverband unterstützen die DAK und twittern: „Super Reaktion, @DAKGesundheit. Schade, dass sie überhaupt nötig ist. #haltung“
- Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow outet sich auf Twitter als DAK-Mitglied: „Ich bin stolz auf meine Krankenkasse. Da zahle ich gerne auch weiterhin meinen Beitrag und sage Danke für diese klare Haltung. Seit fast 62 Jahren sind wir Partner.“
„So cool reagiert die Krankenkasse“
Die Kommunikationsabteilung telefoniert auch mit dem Gesicht des umstrittenen Werbeplakats, Philipp Awounou. Es stellt sich heraus, dass er auch als freier Journalist für „Spiegel Online“ arbeitet und seitdem im Netz massiv beschimpft wird. Er überlegt, ob und wann er seine Geschichte schreibt. Durch die breite Diskussion in den sozialen Netzwerken gibt es schnell Anfragen von Zeitungen, Onlinemedien und Fachzeitschriften. In Interviews bezieht zunächst Sprecher Jörg Bodanowitz für das Unternehmen klar Stellung gegen Rassismus. Er macht deutlich, dass sich die Kasse dem Druck und der rechten Hetze nicht beugen werde. Daraus formuliert „Brigitte.de“ am 14. Februar: „Shitstorm für DAK-Plakat – so cool reagiert die Krankenkasse.“ Am 31. März beschreibt dann Philipp Awounou auf „Spiegel Online“ ausführlich seine Erlebnisse und die schreckliche Facebook-Hetze unter dem Titel „Ein ganz normales Paar“. Auf Twitter schreibt er: „@DAKGesundheit vielen Dank für Ihr entschiedenes Handeln während dieser Zeit.“
Auch Vorstandschef Storm zeigt #Haltung
Als im April das Politikmagazin „Monitor“ ein ARD-Interview zum Thema anfragt, geht DAK-Vorstandschef Andreas Storm persönlich vor die Kamera und zeigt #Haltung: „Eine solche verbale Brutalität haben wir noch nicht erlebt“, sagt Storm. „Die Formulierungen in Briefen und E-Mails erinnern an die schlimmsten Zeiten unserer Geschichte. Es ist wichtig, dass eine Gesellschaft Haltung zeigt und dass man deutlich macht, dass eine solche Position weit weg ist von dem, was eine Mehrheit der Menschen in unserem Land heute denkt.“
Auszeichnung mit dem „Politikaward 2018“
#Haltung wird evaluiert: Laut Medienanalyse gibt es in den sozialen Medien rund 1.400 Posts und acht Millionen Visits zu #Haltung mit DAK-Bezug. Der DAK-Tweet erzielt bis Ende August 133.000 Impressions und ist mit 1.600 Likes die erfolgreichste Social-Media-Aktion der Kasse. In TV, Print und Online erscheinen 31 Beiträge mit 18,3 Millionen Leserkontakten. Darüber hinaus erreicht der Facebook-Post von „Monitor“ 2,6 Millionen Fans. Da 90 Prozent aller Social-Media-Kommentare #Haltung positiv bewerten, wird die Reputation der DAK-Gesundheit deutlich gestärkt. Im Januar 2019 wird die Krankenkasse für die politische Kommunikation mit dem renommierten „Politikaward 2018“ in der Kategorie „Digital Public Affairs“ ausgezeichnet.
Im Rückblick auf #Haltung zieht Jörg Bodanowitz als Leiter der Unternehmenskommunikation das folgende Fazit:
- Hass und Hetze im Internet können jederzeit zu einer Herausforderung für Unternehmen, Verbände, Behörden und andere Institutionen werden. Aussitzen geht nicht. Kommunikatoren sollten darauf vorbereitet sein.
- Der DAK-Gesundheit ist es gelungen, einen rassistischen Shitstorm in sein Gegenteil zu verkehren.
- Wir haben uns positioniert: mit einem Bekenntnis zu unseren Werten.
- Und wir haben die Chance genutzt: Die Solidarität der Community, der Politik sowie von Mitbewerbern hat den Angriff auf die DAK-Gesundheit zu einer ungeplanten Kampagne gedreht, die die Reputation des Unternehmens gestärkt hat.
- Als Antwort auf #Haltung hat die Krankenkasse im Winter 2019 die Initiative #gesundesMiteinander gestartet.