Organisierte Attacken auf die Demokratie
Dezember 19th, 2019 by
Rechtsradikaler Hass[1] trifft Menschen aufgrund zugeschriebener Gruppenzugehörigkeit, etwa aus Rassismus, Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit, Homo- und Transfeindlichkeit und Sexismus. Allerdings baut die rechte Szene fortlaufend weitere, neue Hass-Gruppen auf. Im Jahr 2015/2016 – Aufstieg der AfD, Pegida, eine große Zahl von Menschen sucht Schutz vor Krieg in Deutschland – erreichte etwa der Hass auf Geflüchtete eine zuvor nicht spürbare Prominenz unter den rassistischen Hasserzählungen. In der rechtsradikalen Community wuchs zudem der Hass auf Journalist*innen, die ihre Weltsicht nicht teilten („Lügenpresse“) und auf Politiker*innen aufgrund ihrer Arbeit, ihrer politischen Einstellung und ihrer demokratischen Haltung.
Dies waren die Vorboten der Entwicklung, die wir seit 2018 deutlicher denn je sehen können: Der rechtsradikale Hass zielt nicht „nur“ darauf, Minderheiten oder als „Feinde“ definierte Gruppen aus der gesellschaftlichen Meinungsbildung auszuschließen. Er zielt darauf ab, die Demokratie als politisches System abzuschaffen und tut dies durch Angriffe auf alle Institutionen, die Menschen- und Grundrechte vertreten. Zum Alltag 2019 gehören, durch verschiedene rechtsradikale Akteur*innen ausgeführt, die Torpedierung parlamentarischer Debatten und die Lahmlegung parlamentarischer Gremien durch sinnlose, provokative oder offen feindliche Anfragen, Angriffe auf Kulturinstitutionen und Kunstfreiheit, auf Wohlfahrtsorganisationen, Kirchen und Gleichstellungsbeauftragte, Angriffe auf die Pressefreiheit durch Bedrohung oder mit Anwalt, Angriffe auf zivilgesellschaftliche Institutionen, Unternehmen und Bildungseinrichtungen und Angriffe auf Gedenkstätten und Erinnerungskultur[2]. Sehr viele dieser Angriffe werden im Internet geführt – oft strategisch geplant und koordiniert in geschlossenen Gruppen, mit Aufrufen zum „Shitposting“. D.h. User fluten Timelines oder Kommentarspalten mit Hass, Bedrohungen und Abwertungen, oder liefern sich „Meme Wars“. Die rechtsradikale Szene wähnt sich im „Info-Krieg“ und führt ihn u.a. mit abwertenden Bildern. Sie verbreitet die Aktionen weitest möglich über Blogs und soziale Netzwerke, damit alle Teile der rechtsradikalen Szene bis zum emotionalisierten Wutbürger mit Hasspostings sekundieren können, wenn eine Institution angegriffen wird. So soll der Anschein erweckt werden, hier werde eine Mehrheitsmeinung vertreten, auch wenn es sich um eine laute und sendungsbewusste Minderheit handelt. Laut einer Studie des Institute for Strategic Dialogue und #ichbinhier sind nur 5 % aller bei Hateful Speech aktiven Accounts verantwortlich für 50 % der Likes bei Hass in den Kommentarspalten auf Facebook[3].Viele Interaktionen und Likes führen im Algorithmus von Facebook zu einer vermehrten Ausspielung und damit zu einer größeren Sichtbarkeit und Breitenwirkung der Inhalte.
Die Ablehnung des Systems der parlamentarischen Demokratie schreitet voran
Es geht offenkundig nicht mehr „nur“ darum, Gruppen abzuwerten und Rassismus, Antisemitismus oder Islamfeindlichkeit zu verbreiten. Es geht darum, das System der parlamentarischen, repräsentativen Demokratie zu delegitimieren und letztendlich zu zerstören.
Dass Teile der Bevölkerung in Deutschland mit einem Ende der Demokratie liebäugeln, lässt sich übrigens nicht nur im Internet ablesen, sondern findet sich auch in wissenschaftlichen Studien, wie der Leipziger Autoritarismus-Studie von Elmar Brähler und Oliver Decker 2018[4]. Hier gaben etwa 7,9 % der Befragten an, sie fänden eine Diktatur besser als Demokratie. 11 % finden, für Deutschland wäre ein Führer mit starker Hand gut. 30 % vertreten eine Verschwörungsmentalität. 55,7 % stimmen zu: Lieber sich gegenwärtigen Problemen widmen als Gedenken an die Vergangenheit. Sie wünschen sich einen „Schlussstrich“ unter die Auseinandersetzung mit den im Namen des Nationalsozialismus verübten Verbrechen in Deutschland. Und starke 65 % der Deutschen – übrigens jeglicher politischer Couleur – teilen den Wunsch, Andersdenkende auszugrenzen.
Wenn aber Institutionen angegriffen werden, sind es doch Menschen, die den Hass aushalten und dagegen agieren müssen. Wenn sie – und die ganze Internetöffentlichkeit – dabei wissen, dass jede Tat, jede Aussage in schrillen Tönen skandalisiert werden wird, bindet die Erwiderung nicht nur ihre Kraft. Auch der Mut zu Haltung und Engagement schwindet.
Angriffe als Kampagnen
Die Bundesregierung stellte in der Antwort auf eine kleine Anfrage der Linkspartei 2019 fest, dass rund 80 % aller Hasspostings in sozialen Netzwerken in Deutschland eine rechtradikale Intention haben[5]. Wenn es also Tendenzen zur Ausgrenzung Andersdenkender, verbaler Ausfälligkeit, Echokammer-Bildung und populistischen Verkürzungen auch in verschiedenen Online-Communities gibt, so ist es doch vor allem die rechtsradikale Community, die aufgrund ihrer Ideologie die Konsequenz auslebt, mit Abwertung, Entmenschlichung und digitaler Gewalt nicht nur ihre Meinung zu vertreten, sondern gezielt Menschen anzugreifen – und dabei zu versuchen, ihre Ideologie zu normalisieren und Meinungshoheiten zu erreichen.
Der Aufbau dieser Kommunikation ist strategisch, wie verschiedene Strategiepapiere von rechtspopulistischen bis rechtsextremen Akteur*innen belegen. Sie findet umfassende Verbreitung über alle Plattformen hinweg und sie hat Anspracheformen für verschiedene Zielgruppen. Provokationen und Aggressionen, Abwertung und Entmenschlichung, Desinformation und Lügen in Bildern und Texten oder das Veröffentlichen privater Daten („Doxing“) gehören zum selbstverständlichen Repertoire. Die Täter*innen wissen, dass die Chance groß ist, dass strafrechtlich wenig passiert, selbst wenn sie verbale strafbare Handlungen online verüben. Sie wissen außerdem, dass sie selbst Gegenwehr wie Blockierungen durch andere Nutzer*innen, Löschungen durch Plattformen oder Strafverfolgung, wenn sie passiert, zu ihrem Nutzen und zu ihrer Erzählung hinzufügen können: Dann gerieren sie sich als Kämpfer*innen für die „Meinungsfreiheit“, auch wenn sie diese nur für die eigene Gruppe gelten lassen wollen und damit eigentlich nur die Freiheit meinen, andere zu beleidigen, zu bedrohen und einzuschüchtern, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.
Demokratische Akteur*innen als „Zensor*innen“ und wahre Undemokrat*innen anzugreifen, wenn sie Angegriffene schützen und rechtsextreme, demokratiefeindliche Agitation nicht zulassen wollen, funktioniert leider erschreckend gut – und das nicht nur in der eigenen rechtsradikalen Community. Auch nicht-rechte Kreise sind dafür ansprechbar, wenn sie Freiheitsrechte als losgelöst von demokratischen Grundprinzipien verstehen wollen und den Schutz von Minderheiten und der Demokratie an sich als verhandelbar ansehen. Schon Joseph Goebbels meinte sinngemäß: Wenn die Demokraten uns Rederechte einräumen, heißt das nicht, dass wir das auch tun müssen. Im Original sagte er: „Wenn unsere Gegner sagen: Ja, wir haben Euch doch früher die […] Freiheit der Meinung zugebilligt, ja, Ihr uns, das ist doch kein Beweis, daß wir das Euch auch tuen sollen! […] Daß Ihr das uns gegeben habt, – das ist ja ein Beweis dafür, wie dumm Ihr seid!“[6]
Propaganda bis zum Wahn
Die Szene der rechtsradikalen Online-Aktivist*innen wird niemals müde, jede neue Technologie zu nutzen, die entwickelt wird. Wenn Plattformen ihre Community Guidelines durchsetzen – die eigentlich immer Rassismus, Diskriminierung und Bedrohungen ausschließen – wandern die betroffenen radikalen Teile der Community weiter zu neuen Plattformen. Dies allerdings kostet sie immer Sichtbarkeit und Reichweite. Deshalb betreiben sie als zweite Strategie Mimikry in Darstellung und Sprache. Als etwa die rechtsextreme „Identitäre Bewegung (IB)“ auf Instagram als „Hassorganisation“ eingeordnet und gelöscht wurde, verschwanden damit nicht alle der IB nahestehenden Accounts, sondern nur die offiziell gelabelten. Die rechtsextremen Aktivist*innen sind weiterhin aktiv und nutzen die Plattform für die parasoziale Erzählung eines rechtsextremen Lebensstils als Normalität – bloß nun auf scheinbar privaten Accounts, die die Ideologie vor allem in Hashtags verstecken, die für die Szene verständlich, aber nicht verbietbar sind.
Welche Rolle spielen Blogs?
Sogenannte „alternative Medien“, die als Websites und Blogs existieren und zur Verbreitung ihrer Desinformation soziale Netzwerke und Messengerdienste nutzen, sind eine massive Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie. Sie schmieden und verbreiten die Narrative eines vor dem Zusammenbruch stehenden Deutschlands. Die „Alternativmedien“ bilden die Echokammer, in der Rassismus und demokratiefeindlicher Hass bis zu Handlungszwang und Wahn gesteigert werden. Auch durch technische Unterstützung werden Anhänger*innen in einen permanenten Alarmzustand versetzt – und sind mobilisierbar. Wer etwa Push-Nachrichten einschlägiger Dienste auf Computer oder Mobiltelefon oder entsprechende Telegram-Kanäle abonniert hat, lebt fortan in einer Welt, in der es scheinbar minütlich zu Gewalt durch Migrant*innen kommt, die Politik ihre Bürger*innen betrügt, die Presse lügt und der Bürgerkrieg vor der Tür steht. Gespeist werden diese Meldungen durch Verzerrungen realer Ereignisse, permanenter Wiederholung von jahrealten Nachrichten, Darstellung von Ereignissen weltweit, als würden sie alle in Deutschland geschehen, und schlichten Lügen. Diese Desinformationen sind schwer argumentativ einzufangen und geistern teilweise über Jahre durch das Internet – und führen zu immer neuen Angriffswellen gegen die dort benannten Personen und Institutionen. Bei den Leser*innen ist die Gefahr groß, dass ein wahnhaftes Weltbild entsteht, dass Menschen bis zum Handlungszwang radikalisiert.
Gegenstrategien zu den „Alternativmedien“ ist die Verbreitung eigener Informationen und Gegendarstellungen auf eigenen Webseiten und Kanälen, auch mit Haltung und Widerlegung der Falscherzählungen – sie sollen ja nicht die einzigen Narrative sein, die ein unbedarfter Mensch beim Googlen findet. Außerdem empfiehlt es sich bei persönlicher Betroffenheit, alle Möglichkeiten des Rechtssystems auszuschöpfen, also etwa Unterlassungsklagen gegen Lügen oder zivilrechtliche Klagen wegen Beleidigungen. Dies stoppt Falscherzählungen zumindest zeitweise – und spricht sich auch als Wehrhaftigkeit in der Szene herum.
Welche Rolle spielt Social Media?
Die rechtsradikale Szene nutzt Social Media – wie andere Gruppen auch – zur Vernetzung, für Propaganda, um Aktivismus zu organisieren und zu motivieren und um ihren Lifestyle zu feiern. Dazu kommt das gemeinsame Trolling und Stürmen von Kommentarspalten von Medien, Parteien, Organisationen mit den Zielen der Meinungsmanipulation und Desinformation und des Zermürbens demokratischer Akteur*innen bis zum Silencing, also zum digitalen Mundtotmachen. Verschiedene Teile der rechtsradikalen Szene nutzen verschiedene Netzwerke: Gruppen von älteren „Wutbürger*innen“ treffen sich auf Facebook und vergiften dort die Kommentarsektionen großer Medien und Portale mit Rassismus, Islamfeindlichkeit oder Hass auf Geschlechtergerechtigkeit. Auf Twitter werden Desinformationen über Demokratie und Informationen über eigene Demonstrationen, Aktivismus und Links geteilt. Beim russischen Netzwerk VK oder bei dem rechtsextremen twitterähnlichen Netzwerk Gab.ai, treffen sich diejenigen, die offen den Nationalsozialismus verehren, Volksverhetzung oder Holocaustleugnung betreiben wollen oder andere Menschen mit Todesdrohungen belegen wollen. YouTube und Instagram sind die Netzwerke, um Jugendliche anzusprechen und rechtsextreme Einstellungen als vermeintliche Normalität zu präsentieren. Auf der Gaming-Plattform Discord werden Aktionen gegen die Gesellschaft geplant, wie Angriffe durch Trolling, Beleidigungen und Lügen („Shitpostings“) oder „Meme Wars“ (Meinungsmanipulation durch Posting von Memes). In den Chan-Netzwerken treffen sich auch „Fans“ von Rechtsterroristen und verehren dort ihre „Helden“, die aus Rassismus oder Islamfeindlichkeit Menschen ermordet haben.
Beste Gegenstrategien im Social-Media-Bereich sind Unternehmen, die selbst entschlossen gegen Hassinhalte auf ihren Plattformen vorgehen, Seiten und Kanäle mit einer Moderation mit Haltung (pro Debatte und contra Hass) und engagierte Nutzer*innen, die menschenfeindlichen Aussagen in ihrem Umfeld widersprechen.
Welche Rolle spielt Dark Social?
Je mehr die großen, reichweitenstarken Plattformen wie Facebook, Twitter und YouTube rechtsextreme Inhalte und Akteur*innen von ihren Plattformen verbannen, umso wichtiger werden Messengerdienste mit halböffentlicher Kommunikation wie WhatsApp oder Telegram. Im Herbst 2019 wirbt nicht nur IB-Kopf Martin Sellner für seinen Kanal und bewirbt die Mitgliedschaft mit „Telegramelite“. Auch der neurechte Verein „EinProzent“ wirbt für die Vernetzung durch Kanäle auf Telegram.
Doch in den Messengerdiensten geht es nicht nur um Propaganda und Vernetzung. In geschlossenen Gruppen geht es hier auch um die Mobilisierung und Organisation von Gewalttaten bis zum Rechtsterrorismus – man denke etwa an die Gruppe Freital, die über WhatsApp Straftaten vorbereitete und sich zur Durchführung verabredete, oder die rechtsextremen Prepper-Gruppen Nordkreuz, Ostkreuz, Südkreuz und Westkreuz. Gerade in geschlossenen Gruppen ist eine deutliche Radikalisierung und Enthemmung zu beobachten: sie ermutigen zu freiem Sprechen, also auch zu Gewaltfantasien und Todesdrohungen oder NS-Verherrlichung.
Technisch beschleunigen die Messengerdienste die Hassverbreitung, etwa über Sharing-Gruppen, in denen „alternative“ Nachrichten oder rechtsextreme YouTube-Kanäle geteilt werden. Ein weiterer Vorteil von Messengerdiensten: Der Informationsfluss ist unabhängig von Algorithmen, er erfolgt direkt und erreicht stets alle Abonennt*innen. In geschlossenen Gruppen gibt es außerdem keine Gegenrede und auch nur wenig Löschungen.
Dies macht aktuell auch Gegenstrategien schwierig. Rechtsterroristische Inhalte sind ein Fall für die Strafverfolgung. Für die Zivilgesellschaft ist maximal ein Monitoring der (lokalen) Aktivitäten sinnvoll. Im pädagogischen Kontext können Vernetzungsgruppen in Messengerdiensten von Klassen, Schulen oder Gruppen oft auch ein Ort der Verbreitung von Rassismus oder Sexismus sein.
Interaktionen zwischen Online- und Offline-Hetze
Wer schon einmal von einem Shitstorm betroffen war, also von konzentriertem Hass gegen eine Organisation oder Person, weiß: Hasserzählungen bleiben nicht im Internet. Aggressiver Hass wird noch unangenehmer, wenn er auch persönlich, etwa per Telefon, ins Ohr geschrien wird. Zerstörerischer und fast noch üblicher sind aber diskreditierende Anfragen bei Behörden, Fördermittelgebern und Unterstützer*innen, weil die Zusammenarbeit mit ihnen schließlich als anstrengend und riskant empfunden wird. Falscherzählungen zu widerlegen, bindet Energie und oft wird den Betroffenen selbst dann Schaden zugefügt, wenn sie alle Vorwürfe entkräften können.
Ein weiteres Problem ist es, wenn rechtsradikale Internet-Erzählungen ihren Weg in große Medien finden. Auch hier findet eine Delegitimierung von Initiativen und Institutionen statt, die lange wirkt und schwer wieder einzufangen ist. Das Doxing, also die Veröffentlichung von persönlichen Daten wie Telefonnummer, Adresse und Arbeitsplatz, führt dazu, dass Betroffene auch in der Offline-Welt bedroht werden.
Wichtigste Gegenstrategie zu alle den genannten Angriffsformen ist Solidarität unter Demokrat*innen. Dazu gehört, delegitimierende oder schockierende Erzählungen erst zu prüfen, bevor man sie glaubt oder weiterverbreitet. Wer einen Angriff mitbekommt, kann der oder dem Betroffenen seine Solidarität öffentlich oder zumindest privat versichern.
Was wir tun können
Die Vielfalt an Handlungsmöglichkeiten wird auf dieser Website zusammengefasst. Generell gilt: Wir sollten endlich das Internet und Social-Media-Plattformen als Raum zur Meinungsbildung ernst nehmen. Das heißt, gerade für reichweitenstarke Akteur*innen wie Medien, Parteien, Unternehmen und große Organisationen: Genügend Social Media Management mit geschultem Personal, das bei Belastungen auch Supervision in Anspruch nehmen kann. Dazu muss eine explizite Kommunikationsstrategie entwickelt werden: Wie wollen wir online debattieren, welche Regeln sorgen dafür, dass alle zu Wort kommen können? Für welche Werte, für welche Gesellschaft machen wir uns stark – und wie vermitteln wir dieses Bild? Auch demokratische Institutionen sollten eine Community organisieren und pflegen, die argumentieren und sich einsetzen kann (und es auch tut). Dazu gehört die Überlegung: Wie können möglichst viele Menschen am Diskurs beteiligt sein? Wen schließe ich aus, wenn ich etwa zulasse, dass sich Hater und Rassist*innen in meinen Kommentarspalten ausbreiten? Um eine demokratische Debattenkultur zu erreichen, gehört die Gestaltung der Kommunikation dazu – und das heißt auch: Moderation und Löschungen von Rassismus, Antisemitismus oder Bedrohungen.
Auch inhaltlich braucht es Gegenrede zur von Menschenfeindlichkeit erfüllten, gegen die Moderne gewandte Weltsicht der Rechtsradikalen. Das sind etwa positive Erzählungen von Gleichwertigkeit, Freiheit und einer solidarischen Gesellschaft. Wenn es Rechtsradikalen gelingt, ihre Finger in gesellschaftliche Wunden legen, brauchen wir Antworten. Dazu gehört eine Gesellschaftskritik von realen Problemen, die aber darauf verzichtet, auf Sündenböcke zu verweisen, sondern lösungsorientiert vorgeht. Statt immer wieder zu versuchen, rassistische Fehlschlüsse und Ängste zu „verstehen“, sollten wir lieber die Bedürfnisse ernstnehmen, die sich darin äußern, etwa die Suche nach Sicherheit, Stabilität, Gerechtigkeit oder einem positiven Selbstbild. Dann lässt sich im Dialog herausfinden: Wird das Bedürfnis wirklich durch Rassismus und Abwertung anderer erfüllt – oder ist es sinnvoller, realistische Handlungsmöglichkeiten herauszufinden?
[1] „Rechtsradikal“ wird im Text der Übersicht halber als Sammlungsbegriff verwendet, um die im Internet stark verwebte Szene aus rechtspopulistischen, rechtsradikalen und rechtsextremen Akteur*innen und Netzwerken zu beschreiben
[2] Vgl. Amadeu Antonio Stiftung: Demokratie in Gefahr. Handlungsempfehlungen zum Umgang mit der AfD. Berlin 2019, online als PDF: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/demokratie-in-gefahr/
[3] Vgl. Philip Kreißel/Julia Ebner/Alexander Urban/Jakob Guhl : Hass auf Knopfdruck. Rechtsextreme Trollfabriken und das Ökosystem koordinierter Hasskampagnen im Netz. https://www.isdglobal.org/wp-content/uploads/2018/07/ISD_Ich_Bin_Hier_2.pdf
[4] Elmar Brühler / Oliver Decker: Flucht ins Autoritäre – Rechtsextreme Dynamiken in der Mitte der Gesellschaft. Leipzig 2018, online als PDF: https://www.boell.de/de/leipziger-autoritarismus-studie
[5] Vgl. Markus Reuter: Bundesregierung: Drei Viertel aller strafbaren Hasspostings kommen von rechts. In: Netzpolitik.org, veröffentlicht am 02.08.2019, abgerufen am 04.10.2019, https://netzpolitik.org/2019/bundesregierung-drei-viertel-aller-strafbaren-hasspostings-kommen-von-rechts/ ; Anfrage: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Petra Pau, Dr. André Hahn, Doris Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/11394 – Hasspostings im Internet im Jahr 2018; veröffentlicht am 24.07.2019, abgerufen am 04.10.2019, online unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/119/1911908.pdf
[6] Rede vom 4. Dezember 1935, zitiert nach Helmut Heiber (Hrsg.): Goebbels-Reden, Band 1, Droste, Düsseldorf 1971, S. 272; Originalton: Saarländischer Rundfunk: SR Fundstücke: Rede von Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, zur Eröffnung des Reichssenders Saarbrücken in der „Wartburg“ am 4. Dezember 1935, 00:15:05 bis 00:15:35, https://www.sr-mediathek.de/index.php?seite=7&id=37143